Ausnahmsweise regnet es in der Nacht zum Samstag und am Morgen. Grund genug, das Australien Museum zu besuchen. Natürlich kommen andere auf die gleiche Idee, vor allem Scharen von Familien mit kleinen Kindern. Australische Museen sind auch Kinderspielplätze. Leider bleiben die Kleinen nicht in ihren reservierten Ecken, sondern toben überall herum. Manche feiern an diesem Samstag Kindergeburtstag.
Ich konzentriere mich auf die Abteilung der Aborigines der Sydney-Region. As die Briten eintrafen, wurde der Hafen von mehreren hundert Stämmen (4000-8000 Menschen) bewohnt. Mit den Stämmen der Eora und Cadigal schlossen die Europäer erste „Verträge“. James Cook betrat 1770 die von ihm so benannte Botany Bay. Die sog „First Fleet“ traf 1787 mit elf Schiffen unter Arthur Phillips ein, um eine Siedlung und Strafkolonie aufzubauen. Neben der Disziplinierung der Strafgefangenen lag ihm an friedlichen Beziehungen zwischen den Ureinwohnern und den Siedlern. Es heißt, dass er recht moderne Verhaltensregeln im Umgang zwischen den Europäern und den Aborigines aufstellte, weshalb Frieden bewahrt werden konnte. 1789 jedoch brach eine verheerende Pockenepidemie aus, worauf ein Großteil der Eora in kurzer Zeit verstarb. Wenige Jahre nach Ankunft der Europäer war nur noch ein Zehntel der ursprünglichen Bevölkerung am Leben. Bereits 1892 zählte man hier mehr Europäer als Ureinwohner.
Als die „First Fleet“ 1788 hier eintraf, um eine Strafkolonie zu gründen, trafen die Briten auf Ureinwohner, die sie kaum verstanden. Heute umfasst die Museumssammlung 20000 Objekte ihrer Kultur, darunter tödliche Waffen. Die aktuelle Ausstellung betont besonders die ökologische Weisheit der Aborigines. Sie betrachten den Menschen als Teil der Natur. In ihren Objekten, aber auch in Filmen berichten sie, wie sie gelebt haben. Ich höre Geschichten über die Völker der Eora, Cadigal, Guringai, Wangal, Gammeraigal und Wallumedegal – sie waren die Ureinwohner des Küstenvorlandes in der Umgebung des Hafens.
Manche Aspekte ihrer Weltsicht fordern uns heraus, besonders Totem und Tabu. Seit Freud darüber phantasiert hat, ist das Thema ja bekannt. Mich erstaunt, dass das Kozept noch wirksam ist. Ich schreibe die Erklärungen mit bis der Kugelschreiber leer ist. (In dem Museumsladen haben sie keinen!) Da ist das kollektive Verhalten, das letztlich wohl unserem Individualismus überlegen ist. Man sieht das in einem Film, der indigenen Fischfang zeigt. Eine ganze Mannschaft ist dafür nötig. Frauen sind dann für die Zubereitung zuständig. Kinder sind selbstverständlich dabei und schauen zu. Wie will man das nötige Umdenken zugunsten der Natur erreichen, wenn individueller Konsum höchstes Lebensziel bleibt? Welche Umdeutung hat eigentlich stattgefunden, dass wir Erde als schmutzig und Plastik als sauber bezeichnen? Unverstanden bleiben viele spirituelle, ja magische Aspekte. So wird ein indigener Zauberer gezeigt, der (angeblich) Krokodile so beeinflussen kann, dass sie für ihn auf Beute gehen.
Das Museum unterstützt indigene Gemeinschaften, die sich gegen die Umweltzerstörung zur Wehr setzen. Ein Problem sind beispielsweise zurückgelassene oder verlorene Fischernetze, in denen Meerestiere verenden. Aborigines haben gelernt, aus Tauen und anderen Resten Kunstwerke zu schaffen, die sie verkaufen können.
Trotz vieler Beispiele, die ermutigen, ist die Gesamtgeschichte traurig. Eine Art „Kain und Abel“- Schöpfungsgeschichte (Narawarn und Arrilla) sorgt für „salzige Tränen“. Alle Menschen werden in Tränen geboren.
Schaut man sich die politischen Dokumente des andauernden Freiheitskampfes der Aborigines an, schüttelt man nur noch den Kopf über die Borniertheit der australischen Gesellschaft bis in die sechziger Jahre. (Beispiel: In einer Kleinstadt wurde den Aborigines das Schwimmbad verboten. Die weißen Mädchen könnten sonst schwanger werden.) Es waren dann weiße Studenten (vor 1968!), die unter dem Einfluss der Lektüre der Schriften und Predigten Martin Luther Kings gegen diese (nie so genannte) Apartheid Australiens ankämpften. Ihnen sind außerhalb des Museums keine Denkmäler gesetzt.
Eine aktuelle Notiz aus der Zeitung bestätigt das andauernde Drama: Die Lebenserwartung der Aborigenes ist kurz. Die Suizidrate indigener Jugendlicher ist überdurchschnittlich hoch.
https://australianmuseum.net.au/exhibition/bayala-nura-yarning-country/#gallery-279-2