Archiv für den Monat Februar 2024

Atomausstieg

Etwa 10 km entfernt von unserer Wohnung in Stade wurde im Juli 1967 ein Atomkraftwerk geplant. Protest gab es kaum, es galt ja als sicher. Wo wir als Kinder am Elbestrand Bassenfleth gebadet hatten, wurde nun ein Industriegebiet hochgezogen. Ich studierte in jener Zeit schon in Berlin. In der linken Studentenbewegung träumte man sogar von einem Sozialismus mit Atomkraft. In der evangelischen Jugendarbeit allerdings hatte unser Schülerpastor Horst Hirschler schon gewarnt: Die Endlagerung, verharmlosend „Atommüll“ genannt, sei nicht gesichert. Trotzdem wurde das „Kernkraftwerk Stade“ KKS von 1972 bis 2003 betrieben. Derzeit befindet es sich im sogenannten Rückbau. Er dauert länger als geplant. Die immensen Kosten können nur geschätzt werden. Ursprünglich waren 500 Millionen veranschlagt, jetzt geht man von einer Milliarde Euro aus.

Seit dieser Zeit engagiere ich mich mal stärker, mal biografisch und beruflich bedingt weniger gegen die Atomindustrie, die uns wieder weismachen will, dass Atomstrom sicher und rentabel sei. Meine Informationen beziehe ich häufig aus dem „ausgestrahlt magazin“.

https://www.ausgestrahlt.de/themen/atomindustrie/atomfabrik-lingen-schliessen.

Wenig Aufmerksamkeit findet der andauernde Skandal, dass die deutsche Politik allem Gerede von Sanktionen zum Trotz mit Russland weiterhin atomare Zusammenarbeit betreibt. Datum habe ich den Aufruf „Atomfabrik Lingen schließen – keine Geschäfte mit Rosatom“ jetzt unterschrieben. Bis zum 3. März können Einsprüche gegen den Ausbau beim niedersächsischen Umweltministerium eingelegt werden. Es eilt also. Den Aufruf kann man auch im Internet unterzeichnen.

„Der Einstieg Russlands zeigt ein weiteres Mal die Gefahren der weiter bestehenden Atomanlagen. Durch „rosatom“ verdient Russland weiter an der europäischen Atomindustrie und gewinnt trotz des Krieges strategisch an Einfluss und kann ganz nebenbei Sanktionen unterlaufen. Als strategisches Instrument des Kremls schafft Rosatom jahrzehntelange geopolitische Abhängigkeiten. Diese beruhen auf der Förderung der Atomenergie, wirken aber weit über den Energiesektor hinaus. Rosatom ist sowohl direkt als auch indirekt in den Krieg gegen die Ukraine verwickelt. So spielte der Konzern eine Schlüsselrolle bei der russischen Übernahme des Atomkraftwerks Saporischschja und hat sanktionierten russischen Rüstungsunternehmen angeboten, für sie Waffen zu beschaffen.
Trotzdem arbeitet die europäische Atomindustrie weiterhin eng mit Rosatom zusammen. So liefert Rosatom Uran an die Brennelementefabrik ANF in Lingen, eine Tochtergesellschaft von Framatome, und ist auch an der geplanten Erweiterung der Anlage beteiligt. Diese Geschäfte bedrohen die Sicherheitsinteressen von Deutschland und von Partnerstaaten wie der Ukraine und erweitern Russlands politischen Einfluss trotz des Krieges.“ (Zitat)

Das „ausgestrahlt magazin“ kann man für eine Spende beziehen. Ich finde, es informiert kompakt über den Kampf gegen den atomaren Wahnsinn. Das neue Heft beispielsweise informiert, „warum die Atom-Lobby auf Klimakonferenzen steht – und Atomkraft dem Klima mehr schadet als nützt.“ Mir nutzen diese gezielten Informationen mehr als das übliche politische Tagesgeschwätz, das unsere Medien nur allzu gerne verbreiten.

Ich gebe zu, dass ich seit 1967 oftmals müde geworden bin, mich mit diesen unerquicklichen Themen zu beschäftigen. Seit wir aber neuerdings eine Enkelin hüten dürfen, kann ich mich nicht zur Ruhe setzen. Ich frage mich, in welche Zukunft entlassen wir unsere Nachkommen?

Über die Toten

Derzeit habe ich als Pfarrer emeritus einige Vertretungen übernommen, vor allem Beerdigungen. Das ist immer eine Gelegenheit, neu über unsere Rede am Grab nachzudenken.

„De mortuis nihil nisi bene“, „Über Tote sprich nur gut“, lautet eine alte, römische Weisung. Sie gilt nicht nur für Trauerredner, sondern gewiss für uns alle. Nun wird sie oft falsch übersetzt „sprich nur Gutes (bonum)“. Das führt dann zu Lobhudeleien und Unwahrhaftigkeit mancher Grabrede. Das lateinische Wort „bene“ meint aber klar „in guter Weise“. Mag sein, dass in römischer, vorchristlicher Zeit, Menschen – wie noch heute in vielen Regionen der Welt – fürchteten, dass die Toten als Geister das Leben der Nachkommen stören oder gar bedrohen könnten.

Diese Vorstellung ist nicht überholt. Ich habe sie nicht nur während meiner Arbeit in Tansania (Ostafrika) angetroffen, sondern auch in Changchun in der Volksrepublik China. Letzteres ist besonders erstaunlich, da China seit 75 Jahren von einer angeblich materialistischen Kommunistischen Partei regiert wird. Viele glauben, dass die Toten weiterleben. Sie verbrennen Papiergeld, das er in der anderen Welt gebrauchen kann. Um die bösen Geister davonzujagen, benutzen sie Krach machendes Feuerwerk. Eigentlich gibt es keine menschliche Kultur, in der sich nicht Menschen fragen: „Was geschieht mit uns nach unserm Tod? Wenn es ein Leben nach dem Tod gibt, wie wird es sein?“ Auch in Deutschland fragen sich das viele Menschen, die mit der traditionellen kirchlichen Antwort nicht zufrieden sind. Sie suchen im Westen und im Osten, wenn sie nicht einfach mit den Schultern zucken.

Auch ohne  Glauben an ein Jenseits ist es klug, über Tote in guter Weise zu reden. Denn was wissen wir wirklich über unsere Mitmenschen? „Alles“ zu überschauen würde ja eine göttliche Allwissenheit erfordern.

Übrigens ist es lebensdienlich, auch über Lebende „in guter Weise“ zu sprechen. So hat es jedenfalls Martin Luther den Christen in seinem Katechismus ans Herz gelegt, als er das Gebot aus dem Alten Testament „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden gegen Deinen Nächsten“ mit seiner „Erklärung“ erweiterte: „Wir sollen Ehrfurcht haben vor Gott und ihn lieben, dass wir unsern Nächsten nicht belügen, verraten, verleumden oder seinen Ruf verderben, sondern sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren.“

Als junger Mensch fand ich, dass dieses Gebot am wenigsten wichtig ist. Jetzt sehe ich das anders. Beginnt nicht jeder Krieg mit Worten? In der Propaganda wird der mögliche oder tatsächliche Gegner schlechtgemacht und verleumdet. Regierungen und ihre Medien können dabei aber nur erfolgreich sein, wenn sie in der Bevölkerung Zustimmung erreichen können.

Gegenwärtig erleben wir vor allem auch durch die sog. Sozialen Medien geradezu Lawinen übler Propaganda und Lügen. Dazu braucht es nicht einmal die „Trollfabriken“, die professionell ihre Desinformationen verbreiten. Auch wir Amateure hauen schnell mal im Internet einen Kommentar heraus, wenn wir uns geärgert haben.

Was im Großen geschieht, funktioniert leider auch im Kleinen. Woher kommt sonst der Hass in Familien und Nachbarschaften?

Es wäre naiv zu meinen, die Kirche oder auch nur eine Gemeinde sei davon unberührt. Dennoch kann man sich ja mal bemühen und öfter das Achte Gebot samt Erklärung meditieren.

PS: Zur eigenen Vorbereitung meines neuen Dienstes habe ich das ältere Buch „Das Zeitliche segnen“ von Margot Käßmann aus meiner Bibliothek geholt und wieder gelesen. Ich kann es sehr empfehlen.

https://www.adeo-verlag.de/das-zeitliche-segnen.html