Archiv für den Monat Februar 2020

Unrechtsstaat

Ob die DDR ein Unrechtsstaat war oder nicht, ist immer wieder eine Streitfrage gegenwärtiger Politik. Abgesehen von den aktuellen politischen Interessen der Kontrahenten hängt eine Antwort wohl davon ab, wen man fragt. Ob Gewinner oder Verlierer des sozialistischen Staats, Profiteure oder Opfer.

Kürzlich hatte ich tagelang die Gelegenheit, eine typische DDR-Biografie mir anzuhören. Mit mir lag im Krankenhauszimmer ein inzwischen gut etablierter Ingenieur der Firma Bosch, der aus Sachsen-Anhalt stammt. Immer wieder betonte er, dass er als armer Bauernsohn seinen Aufstieg dem DDR-Staat verdankt. Der habe ihn schulisch gefördert und über einen Betrieb das Studium bezahlt. Zwar musste er erhebliche Anpassungsleistungen vollbringen: u.a. der SED beitreten („die monatlichen Treffen habe ich abgesessen“), den Grenzdienst der Volksarmee leisten („auf den Wachttürmen war es bitter kalt“). Mit Glück kam er um eine Verpflichtung durch die Stasi herum. Dank der friedlichen Revolution, an der er sich nicht beteiligt hat, ist er nun ein Gewinner der „Wende“. Unrecht hat er in der DDR nicht erlitten. Zurück in sozialistische Verhältnisse will er aber nicht.

Zur gleichen Zeit lese ich das Buch „Umkämpfte Zone: Mein Bruder, der Osten und der Hass“ (Stuttgart 2019)  ) von Ines Geipel. Die ehemalige Weltklasse-Leichtathletin ist vor allem durch ihre Aufarbeitung des Staatsdoping der DDR bekannt geworden. Wie nahezu 12000 Sportler in der DDR, viele ohne es zu wissen, war Geipel Opfer des organisierten Dopings. Nachdem sie in „Ungnade“ gefallen war, wurde ihr bei einer Blinddarmoperation 1984 im Stasi-Auftrag der gesamte Bauch samt Muskulatur durchschnitten. Im Jahr 2000 erreichte sie mit die Verurteilung des DDR-Sportfunktionärs Manfred Ewald wegen Beihilfe zur Körperverletzung.

Erst spät  erfuhr sie, dass ihr eigener Vater unter acht verschiedenen Identitäten im Auftrag der Stasi als „Terroragent“ 15 Jahre lang in Westdeutschland im Einsatz war. Er versuchte insbesondere geflüchteten DDR-Bürgern deren neue Existenz in der Bundesrepublik zu zerstören.

Im Jahr 2019 sagte sie zur nicht begonnenen Aufarbeitung der Geschichte der DDR, dass Geld alleine den Osten Deutschlands nicht demokratischer machen werde. Sie sagte, es sei „unglaublich, mit welcher Härte die wirklichen Opfer der zweiten Diktatur weg erzählt werden.“ Fünfzig Jahre Diktaturerfahrung hätten eine traumatisierte Kultur hinterlassen.

In ihrem Buch „Umkämpfte Zone…“ greift Geipel das für die DDR-Geschichte so signifikante Thema des Verschweigens aus der Sicht mehrerer Generationen auf. Dabei bricht sie zum einen das „toxische Schweigen“ auf, mit dem nicht nur die SS-Vergangenheit ihrer beiden Großväter, sondern auch die Stasi-Tätigkeit des Vaters verhüllt wurde.

Aus dem Klappentext: „Seit 2015 haben sich die politischen Koordinaten unseres Landes stark verändert – insbesondere im Osten Deutschlands. Was hat die breite Zustimmung zu Pegida, AfD und rechtsextremem Gedankengut möglich gemacht? Ines Geipel folgt den politischen Mythenbildungen des neu gegründeten DDR-Staates, seinen Schweigegeboten, Lügen und seinem Angstsystem, das alles ideologisch Unpassende harsch attackierte. Seriöse Vergangenheitsbewältigung konnte unter diesen Umständen nicht stattfinden. Vielmehr wurde eine gezielte Vergessenspolitik wirksam, die sich auch in den Familien spiegelte – paradigmatisch sichtbar in der Familiengeschichte der Autorin. Gemeinsam mit ihrem Bruder, den sie in seinen letzten Lebenswochen begleitete, steigt Ines Geipel in die „Krypta der Familie“ hinab. Verdrängtes und Verleugnetes in der Familie korrespondiert mit dem kollektiven Gedächtnisverlust. Die Spuren führen zu unserer nationalen Krise in Deutschland.“

Spannend finde ich, wie Geipel den Aufbau des antifaschistischen Gründungsmythos der DDR am Beispiel Buchenwald beschreibt. Da lernen Generationen die Geschichte der heldenhaft verklärten Kommunisten im KZ, welches durch den in der DDR zensierten und seiner Ambivalenzen beraubten Bestseller von Bruno Apitz „Nackt unter Wölfen“ verstärkt worden ist.  Die Nazis waren in der DDR-Propaganda einfach im Westen. Geipel beschreibt die jahrelange Schuldverdrängung, wie antisemitische Übergriffe und Straftaten einer „Skinhead-Kultur“ ignoriert wurden. Geipel: „Ich versuche exemplarisch an einer konkreten Familie zu zeigen, wie sich Zeit und Leben, Gefühle, Situationen verzahnen, und hier ganz explizit, wenn es um die lange Linie der Gewalt im Osten geht, geht es natürlich um Kontinuitäten. Es ist die Sache der nicht verarbeiteten Doppeldiktaturen.“

Ein Kritiker schrieb: „Das Buch „Umkämpfte Zone. Mein Bruder, der Osten und der Hass“ von Ines Geipel vereint Elemente eines Generationenromans und Romans über die DDR mit Elementen der Autobiographie und des Sachbuchs. Es besticht durch eine bilderreich-künstlerische, poetische Sprachgewalt und geisteswissenschaftliche Reflexionen.“

Ob nun „Unrechtsstaat“ oder nicht –  das dargestellte Unrecht erschüttert allemal.

https://www.youtube.com/watch?v=_DZRk5QxiWE

Schreiend ungerecht

Theologen müssen  sich für Gerechtigkeit einsetzen. Das ist ein Satz, den ich aus meinem Studium bei Eberhard Jüngel behalten habe. Nicht umsonst kommt das Wort „Gerechtigkeit“ in der Bibel sogar häufiger vor als das Wort „Gott“.

Hört man Strafgefangenen zu, klagen viele, dass sie ungerecht behandelt worden sind. Das gilt sicher für die unfairen Lebensverhältnisse, in denen jemand aufwachsen muss. Aber es gibt auch Fehler im Justizsystem. Darum interessiert mich das Buch „Schreiend ungerecht“ (riva verlag 2019, 304 Seiten) des Strafverteidigers Burkhard Benecken aus Marl. Er verteidigt die Promis dieser Republik und auch jene, die sich dafür halten wie das „Model“ Gina Lisa Lohfink sowie Clanbosse wie die Berliner Unterweltgröße Arafat Abou Chaker.

Er erzählt in elf Kapiteln ziemlich spannend jeweils einen Fall aus seiner persönlichen Praxis. Dann erläutert er die juristischen Probleme des Falles und schildert den Prozessverlauf. Es wird deutlich, dass ein guter Anwalt ein Urteil erheblich beeinflussen kann. Schließlich gibt er praktische Tipps, wie man sich in einer ähnlichen Situation verhalten könnte und macht fallbezogen Vorschläge zur Justizreform. Es geht ihm in erster Linie darum, dass bei der Justiz jeden Tag viele Fehler passieren, die in den Medien kaum aufgegriffen werden. Viele Justizskandale sind der breiten Öffentlichkeit weitestgehend unbekannt geblieben. Einerseits kann es schnell geschehen, dass der Normalbürger zum Opfer der Justiz wird. Da verschwinden offenkundige Unschuldige jahrelang hinter Gittern. Aus seiner Sicht werden 650 Menschen täglich zu Unrecht verurteilt. Andererseits geschieht es allzu oft, dass Geschädigte von Staatsanwaltschaft und Gericht alleine gelassen werden und der Täter einfach freikommt.

Ein Beispiel: Da wird ein Mann nach jahrelangem Streit durch den Nachbarn ins Krankenhaus geprügelt. Das Opfer liegt schwer verletzt wochenlang im Krankenbett. Kaum wieder genesen, teilt die Staatsanwaltschaft seinem Mandanten mit, das Verfahren gegen den Schläger sei eingestellt worden. An der Strafverfolgung bestehe kein öffentliches Interesse. Schließlich habe es sich um einen Nachbarschaftsstreit gehandelt.

Aus seiner Sicht ist ein anderer Fall ein Beispiel für viele Ungerechtigkeiten, die Opfer durch die teils überlastete Justiz erleiden müssen. Da gibt es die rechtlichen Möglichkeiten, um Strafprozesse so zu verzögern, dass der Täter am Ende wegen überlanger Verfahrensdauer ohne Schuldspruch davonkommt. Er hat einen zwölfjährigen Jungen vertreten, der von einem Päderasten im Netz dazu verführt wurde, sich vor der Kamera selbst zu befriedigen. Diese Videos stellte der Täter in einschlägige Foren ein. Es dauerte aber sage und schreibe fünf Jahre, bis der Mann sich vor Gericht verantworten musste. Am Ende wurde der Fall eingestellt mit dem Hinweis: Nach so langer Zeit bestehe kein Bedürfnis mehr, den Angeklagten zu bestrafen. Da bleiben nicht nur die Opfer fassungslos zurück.

Kein gutes Bild geben in seiner Darstellung die Pflichtverteidiger ab. Ein Beispiel für ein abgekartetes Spiel: Mauscheleien bei der Vergabe der Pflichtverteidigung. Dazu muss man wissen, dass die Richter die Anwälte für jene Beschuldigten aussuchen, die kein Geld für einen Verteidiger aufbringen können. Das geschieht häufig. Dieser Umstand aber schafft ein rechtlich fragwürdiges Abhängigkeitsverhältnis zwischen Verteidiger und Richter. Oft suchen die Gerichte Anwälte aus, die Geständnisse ihrer Mandanten auf dem Silbertablett servieren. Ganz gleich ob wahr oder falsch. Je schneller das Geständnis, desto schneller endet der Prozess. Und das Gericht kann den nächsten Fall abhandeln. Auf diese Weise werden in vielen Fällen Mandanteninteressen verkauft, mitunter überreden Anwälte Unschuldige zu Geständnissen. Und dass nur, weil der Verteidiger sich bei dem Richter einschmeicheln möchte, um das nächsten Pflichtmandat, das ihm etwa 800 Euro einbringt, zu ergattern.

Ein anderes Problem sind Schlampereien bei Gutachten. Als der Onkel des TV-Kochs Frank Rosin von einem Mitbewohner in einem Wohnheim im westfälischen Halle erschlagen wurde, hat der Sachverständige fast vier Monate gebraucht, um einige wenige DNA-Spuren vom Tatort auszuwerten. Vier Monate, in denen der unbekannte Täter noch frei herumlief. Normalerweise dauern solche Gutachten bei der geringen Spurenlage drei bis fünf Tage. Letztlich führte die Zeitverzögerung dazu, dass die Strafverfolger erst sieben Monate später einen Haftbefehl gegen einen 21-jährigen Tatverdächtigen erwirken konnte. Da war der Mann aber längst über alle Berge.

Nach der Lektüre dieses Buches habe ich die „Unschuldsbeteuerungen“ meiner Gesprächspartner im Gefängnis innerlich offener angehört. Jeder Straffall ist sowieso ein Drama. Bisher habe ich persönlich noch nie einen Anwalt gebraucht. Hoffentlich bleibt  so. Ich würde mich aber schon mal umhören, wer in meiner Stadt geeignet wäre. Marl ist zu weit weg.

https://www.m-vg.de/riva/shop/article/16263-schreiend-ungerecht/

Semitismus

Eigentlich ödet mich das Thema „Antisemitismus“ an. Wenn man ihn ein Leben lang bekämpft hat und nun erleben muss, dass längst widerlegte Verschwörungsmythen auferstehen, dann ist das bitter und ermüdend. Um so mehr bewundere ich meinen Freund Michael Blume, der heute einmal mehr in der Dietrich-Bonhoeffer-Kirche Tübingens über seine religionswissenschaftlichen Erkenntnisse und politischen Perspektiven sprach. Als „Antisemitismus-Beauftragter“ der baden-württembergischen Landesregierung hat er dazu ein Buch „Warum der Antisemitismus uns alle bedroht“ veröffentlicht.

https://www.patmos.de/warum-der-antisemitismus-uns-alle-bedroht-p-8903.html

Wenn man von „Semitismus“ spricht, beruft man sich auf den Noah-Sohn Sem, der in der jüdischen Tradition als Begründer eines Lehrhauses gilt. Er ist kein Begründer von Rassen und kein Begründer von Sprachen, sondern im Talmud, in der jüdischen Auslegung ist Sem der erste, der eine Schule gründet, der erste, der Religion und Recht im Medium der Alphabetschrift lehrt. Das ist eine ganz wichtige Figur und Vorfahr von Abraham.  Es wird sogar berichtet, der Sem habe nicht nur Abraham unterrichtet, sondern auch dessen Sklaven. Es wird also gesagt, alle Menschen sollen jetzt lesen und schreiben lernen können. Wir finden das heute normal, dass wir überhaupt nicht begreifen, was das für ein enormer Bruch war, Religion und Recht auf Schrift zu gründen.

Diese enorme Bedeutung der Bildung ist für die jüdische Religion grundlegend, hat ihr aber viele Neider eingebracht. Und wenn der Vorsprung in Bildung zu wirtschaftlichen Erfolgen führt, ist nicht Anerkennung durch die andersgläubige Mehrheit die Folge, sondern ein giftiger Glaube an Verschwörungsmythen.

Es geht um eine geistige Haltung, es geht um eine Haltung zu Bildung, es geht um eine Haltung zu Weltvertrauen, es geht um eine Haltung zu Fortschrittshoffnung. Diese Haltung hat das Judentum ausgeprägt. Es ist die erste Bildungsbewegung der Weltgeschichte.

Bildung – übrigens auch ein Begriff direkt aus der Bibel –, der Mensch ist nach Gottes Ebenbild geschaffen, soll ausbilden, was in ihm steckt. Und deswegen richten sich Antisemiten immer gegen Jüdinnen und Juden und darüber hinaus gegen Fortschrittshoffnung, gegen den Rechtsstaat, gegen das Zusammenleben von Menschen auf der Basis von Gleichberechtigung.

Wann ist man also semitisch? Wenn man der Auffassung ist, dass Menschen gleichberechtigt sind. Das wird in der Bibel und in der jüdischen Überlieferung am Noah-Bund festgemacht mit dem Regenbogen. Alle Menschen sind gleich. Alle Menschen sollen Bildung erfahren. Wir können der Welt vertrauen. Wir sollen einen Rechtsstaat aufbauen, das sind die Urüberzeugungen. Sieben noachidische Gebote soll Sem gelehrt haben – nicht morden, keine Tiere quälen, nicht die Ehe brechen – und ein positives Gebot – einen Rechtstaat aufbauen. Wer diese Überzeugungen hat, ist sozusagen in der besten semitischen Tradition.

Noch für Hugo Grotius – den Begründer des Völkerrechts – war völlig klar, dass sich das Völkerrecht auf dem Noah-Bund begründet, dass der Noah und der Sem das begründet haben. Das wissen selbst führende Juristen nicht mehr, was wir da für Schätze in unserer eigenen Kultur haben.

Wer dagegen glaubt, die Welt werde von Verschwörern beherrscht, man dürfe nicht vertrauen, die Ärzte, die Medien, das seien alles nur Verschwörer, die demokratischen Politiker, die sollte man angreifen. Und die jüdischen Gemeinden, die seien alle in der Verschwörung beteiligt, dann sind wir selbst, wenn wir uns Christ oder Muslim oder Humanist nennen, auf einem antisemitischen Pfad unterwegs.

Blume: „Wir haben es beim Antisemitismus mit einem Glaubenssystem zu tun. Antisemiten glauben, dass böse Mächte die Welt regieren. Sie glauben, dass Verschwörer hinter allem stecken und das sind normalerweise Juden und Freimaurer bzw. wie man heute sagt, Zionisten und Illuminaten. Das ist eine globale, ich sage es manchmal sogar Gegenreligion geworden, die sich ausgebreitet hat und jetzt noch mal ausbreitet durch das Internet. Wenn Leute glauben an Verschwörer, dann landen die nicht beim Glauben an die Weltverschwörung der Australier oder der Quäker, sondern dann landen die immer wieder im alten Antisemitismus.“

Immer wieder unterbricht Blume seine sachlichen Ausführungen durch persönliche Erinnerungen. Als er im Irak über tausend Jesidinnen rettete, stand er an einem Massengrab: „In diesem Grab bei Kocho, Nordirak waren ältere Damen und ganz kleine Kinder, mit denen der IS nichts anfangen konnte nach seiner menschenverachtenden Logik. Sie wurden in einen Forellenteich getrieben und dort ermordet und mit Sand überdeckt. Als wir dort waren, war das noch nicht mal abgesperrt, es war alles ganz frisch, und ich habe in dem Moment gedacht, wir haben gar nichts gelernt, wir Menschen machen immer, immer wieder solche Dinge. Man kann sich kaum Ideologien vorstellen, die weiter voneinander entfernt sind als der Nationalsozialismus und der arabische Islamismus oder der islamische Extremismus, aber was sie verbindet, ist tatsächlich der gemeinsame Glaube an eine jüdisch-freimaurerische Weltverschwörung, gegen die man sich angeblich wehren müsste. Extremisten aller Art, aber vor allem Antisemiten behaupten immer, sich zu verteidigen, sie sagen, ihre Gewalt geschehe aus Notwehr, und ihr Hass richtet sich nicht nur, aber auch gegen Juden. In Deutschland waren es zum Beispiel auch Roma und Sinti, die ermordet wurden, die christliche Taufe hat ihnen nicht geholfen, und im Irak waren es zum Beispiel Jesiden, denen vorgeworfen wurde, Teufelsanbeter zu sein.“

„Im Irak war ich ganz massiv damit konfrontiert, dass Leute gesagt haben: ‚Der Erdogan, das ist doch ein Jude, den haben doch die Juden eingesetzt, die Türkei zu zerstören.‘ Oder: ‚Der Kalif al-Bagdhadi sei ein jüdischer CIA-Agent namens Simon Eliott, und der ganze Islamische Staat sei vom israelischen Mossad.‘ Wenn Antisemiten keine Juden haben, dann erfinden sie sich welche. Dann behaupten sie, dass alle möglichen anderen Personen Juden wären. Im Irak gibt es gar kein jüdisches Leben mehr, die sind vertrieben worden. 140.000 Jüdinnen und Juden nach der Staatsgründung Israels – das weiß auch kaum jemand – aber der Antisemitismus ist nicht verschwunden.

Jetzt werfen sich Türken, Kurden, Araber, Linke, Rechte, Religiöse, Säkulare gegenseitig vor, Teil der jüdischen Weltverschwörung zu sein. Also, auch da sieht man, wer da sagt, wenn es den Staat Israel nicht mehr gäbe oder es keine Juden mehr gäbe, gäbe es auch keinen Antisemitismus mehr, der hat überhaupt nicht verstanden, wie gefährlich das ist. Der Antisemitismus ist eine Ideologie des Hasses, die sich, wie das Sartre gesagt hat, Juden erfindet, wenn sie gar keine hat.“

Ein Abgeordneter des baden-württembergischen Parlaments hat in seinen Schriften deutlich formuliert, man könne die Islamisierung Europas nur stoppen, wenn man antizionistisch vorgeht. Ein ganz beliebtes rechtsextremes Motiv, die Juden haben den Orient zerstört, jetzt treiben die Juden die Araber nach Europa, um auch Europa zu zerstören. Leider finden sich solche Vorstellungen auch bei sonst gebildeten Leuten.

Meine Grundfrage, wie wir Hass überwinden können, beantworten wir nicht nur mit Aufklärung und Argumenten, sondern auch mit einer Art kollektiven  Seelsorge, für die die Kirche bestimmt sein sollte. Da hilft ein Hinweis auf die Vorurteilsforschung.

Wer Vorurteile dadurch zu widerlegen versucht, dass er sie immer nur wieder wiederholt, verknüpft die sich im Gehirn immer wieder neu. Man muss eine schlechte und eine unwahre Geschichte durch eine bessere und wahrere Geschichte ersetzen.

Wer die aktuellste Verschwörungsmythe kennenlernen will, der schaue sich Michael Blumes Wissenschaftsblog an. Da setzt er sich mit der Vorstellung auseinander, dass der neue Corona-Virus eine jüdische Erfindung ist.

Digital-global befeuert – Die ersten Verschwörungsmythen zum Coronavirus