1998 begann ich als damaliger Ökumenereferent der Evangelischen Akademie Bad Boll, Beziehungen zu orthodoxen Christen aufzunehmen. In den vierzehn Jahren meiner Tätigkeit lernte ich die verschiedenen nationalen Eigenheiten kennen. Leicht war es mit den orthodoxen Kirchen Griechenlands oder Finnlands, die sich mit der westeuropäischen Kultur vertraut gemacht haben. Die rumänischen Orthodoxen zeigten sich ebenso dialogbereit. Schwieriger war es schon mit den Bulgaren, Serben und Russen, katastrophal schlecht mit den Georgiern. In ihrem Land war „Ökumene“ ein Schimpfwort. In der Ukraine erlebten wir damals schon die Spaltung der orthodoxen Kirchen mit, die heute dramatisch zugenommen hat. Obwohl wir öfter russische Delegationen zu Gast hatten, konnte von einem echten Dialog kaum die Rede sein. Eigentlich wollten sie sagen, dass wir im Westen alle dekadent seien. Ich lernte Geduld.
Diese ist nun aber seit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine überstrapaziert. Schon bei der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) 2022 in Karlsruhe forderte ich (vergeblich), die Mitgliedschaft der russischen Kirche im ÖRK ruhen zu lassen. (So war man mit der Apartheidskirche in Südafrika verfahren.) Seitdem hat es mehrere Versuche gegeben, die Russische Orthodoxe Kirche zum Frieden zu bewegen. Vergeblich! Ich frage mich, wie lange unsere Kirchenleitenden dieses Spiel der Besuche, Versammlungen, Erklärungen noch fortsetzen wollen. Es ist nur noch peinlich.
Patriarch Kyrill, das Oberhaupt der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) hat die russische Bevölkerung aufgerufen, alle Kräfte für den Krieg gegen die Ukraine zu aktivieren. Aufgabe Russlands sei es, als „Siegerin aus dem Kampf“ hervorzugehen, „den die Kräfte des Bösen gegen uns losgetreten haben“. In seiner Predigt am 12. September 22023 in der Hl. Dreifaltigkeits-Aleksandr Nevskij-Kathedrale in St. Petersburg sagte er: „Wir brauchen heute die Mobilisierung aller – sowohl des Militärs als auch der politischen Kräfte; und natürlich muss die Kirche in erster Linie mobilisiert werden um für unsere Regierung und die Armee zu beten, aber auch um dort zu sein, an der Front, wo heute unsere bemerkenswerten Militärgeistlichen arbeiten und, leider, sterben – doch die Front verlassen sie nicht.“
Das Oberhaupt der ROK forderte auch zum unermüdlichen Gebet für Präsident Putin und die „Armee, die unser Vaterland verteidigt“, auf. Bereits im September 2022 hatte er die Vergebung der Sünden versprochen, wenn sie im Krieg gegen die Ukraine umkommen.
In einem Vortrag am 26. Januar 2023 in der russischen Staatsduma verlangte er, dass Militärgeistliche an der Front und deren Familien von denselben Garantien und Vergünstigungen profitieren können wie Teilnehmer der „Spezialoperation“. Nur mit einem Kreuz bewaffnet, seien die Priester beliebte Ziele der Gegner.
Wir haben in unserer Kirchengeschichte einen vergleichbaren Vorgang. Als die deutsche Kirche im Zweiten Weltkrieg sich nicht vom Naziregime distanzierte, hoffte die Bekennende Kirche mit Dietrich Bonhoeffer auf ein eindeutiges Wort der weltweiten Ökumene. Das damalige kirchliche Auslandsamt verhinderte diese Bemühungen. Das Ausland wollte den erhofften Einfluss auf die deutschen Christen nicht verlieren. Das Ergebnis ist bekannt. Die deutliche Stimme der Kirchen gegen Krieg und Verfolgung blieb aus.
Diplomatie fordert sicherlich manchmal Kompromisse. Die Kirchen sollten aber die Stimme der Wahrheit und Friedensliebe sein.