Archiv für den Monat September 2023

Wie lange noch diese „Ökumene“?

1998 begann ich als damaliger Ökumenereferent der Evangelischen Akademie Bad Boll, Beziehungen zu orthodoxen Christen aufzunehmen. In den vierzehn Jahren meiner Tätigkeit lernte ich die verschiedenen nationalen Eigenheiten kennen. Leicht war es mit den orthodoxen Kirchen Griechenlands oder Finnlands, die sich mit der westeuropäischen Kultur vertraut gemacht haben. Die rumänischen Orthodoxen zeigten sich ebenso dialogbereit. Schwieriger war es schon mit den Bulgaren, Serben und Russen, katastrophal schlecht mit den Georgiern. In ihrem Land war „Ökumene“ ein Schimpfwort. In der Ukraine erlebten wir damals schon die Spaltung der orthodoxen Kirchen mit, die heute dramatisch zugenommen hat. Obwohl wir öfter russische Delegationen zu Gast hatten, konnte von einem echten Dialog kaum die Rede sein. Eigentlich wollten sie sagen, dass wir im Westen alle dekadent seien. Ich lernte Geduld.

Diese ist nun aber seit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine überstrapaziert. Schon bei der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) 2022 in Karlsruhe forderte ich (vergeblich), die Mitgliedschaft der russischen Kirche im ÖRK ruhen zu lassen. (So war man mit der Apartheidskirche in Südafrika verfahren.) Seitdem hat es mehrere Versuche gegeben, die Russische Orthodoxe Kirche zum Frieden zu bewegen. Vergeblich! Ich frage mich, wie lange unsere Kirchenleitenden dieses Spiel der Besuche, Versammlungen, Erklärungen noch fortsetzen wollen. Es ist nur noch peinlich.

Patriarch Kyrill, das Oberhaupt der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) hat die russische Bevölkerung aufgerufen, alle Kräfte für den Krieg gegen die Ukraine zu aktivieren. Aufgabe Russlands sei es, als „Siegerin aus dem Kampf“ hervorzugehen, „den die Kräfte des Bösen gegen uns losgetreten haben“. In seiner Predigt am 12. September  22023 in der Hl. Dreifaltigkeits-Aleksandr Nevskij-Kathedrale in St. Petersburg sagte er: „Wir brauchen heute die Mobilisierung aller – sowohl des Militärs als auch der politischen Kräfte; und natürlich muss die Kirche in erster Linie mobilisiert werden um für unsere Regierung und die Armee zu beten, aber auch um dort zu sein, an der Front, wo heute unsere bemerkenswerten Militärgeistlichen arbeiten und, leider, sterben – doch die Front verlassen sie nicht.“

Das Oberhaupt der ROK forderte auch zum unermüdlichen Gebet für Präsident Putin und die „Armee, die unser Vaterland verteidigt“, auf. Bereits im September 2022 hatte er die Vergebung der Sünden versprochen, wenn sie im Krieg gegen die Ukraine umkommen.

In einem Vortrag am 26. Januar 2023 in der russischen Staatsduma verlangte er, dass Militärgeistliche an der Front und deren Familien von denselben Garantien und Vergünstigungen profitieren können wie Teilnehmer der „Spezialoperation“. Nur mit einem Kreuz bewaffnet, seien die Priester beliebte Ziele der Gegner.

Kyrill I. – Wikipedia

Wir haben in unserer Kirchengeschichte einen vergleichbaren Vorgang. Als die deutsche Kirche im Zweiten Weltkrieg sich nicht vom Naziregime distanzierte, hoffte die Bekennende Kirche mit Dietrich Bonhoeffer auf ein eindeutiges Wort der weltweiten Ökumene. Das damalige kirchliche Auslandsamt verhinderte diese Bemühungen. Das Ausland wollte den erhofften  Einfluss auf die deutschen Christen nicht verlieren. Das Ergebnis ist bekannt. Die deutliche Stimme der Kirchen gegen Krieg und Verfolgung blieb aus.

Diplomatie fordert sicherlich manchmal Kompromisse. Die Kirchen sollten aber die Stimme der Wahrheit und Friedensliebe sein.

Tiergottesdienst?

Kürzlich fand der wohl erste Evangelische Gottesdienst mit Tieren in Tübingen statt. Pfarrerin Hanna Hartmann von der Martinsgemeinde nannte ihn wohlweislich „Gottesdienst für Menschen mit ihren Tieren“. Es ist ein alter Vorwurf an die christliche Theologie, dass sie zu anthropozentrisch sei, sich also nur für die Erlösung des Menschen interessiere. Zwar haben Generationen noch den Kleinen Katechismus Martin Luthers auswendig gelernt, in dem es „Von der Schöpfung“ heißt: „Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen“, aber dann ist von den Mitgeschöpfen keine Rede mehr. Noch einseitiger entwickelte sich die angeblich aufgeklärte Philosophie, in der die Tiere zu den Sachen gezählt wurden.

In der christlichen Theologie wird nun schon seit etlichen Jahren an einer Revision dieser einseitigen Entwicklung gearbeitet. Sehr wichtig für diesen Prozess ist das Institut für Theologische Zoologie, (ITZ Münster) in dessen Kuratorium auch die ehemalige evangelische Bischöfin Bärbel Wartenberg-Potter mitarbeitet. www.theologische-zoologie.de

In einem Grundsatzpapier des Instituts heißt es: „Die Zeit ist reif, die Ebenbürtigkeit der Tiere auch theologisch zu würdigen. Daher erarbeitet das ITZ ergänzend zur theologischen Anthropologie eine theologische Zoologie. Dabei forschen wir interdisziplinär, überkonfessionell und interreligiös. Ein gegenwärtiger Schwerpunkt ist, das Wissen der drei monotheistischen Weltreligionen Christentum, Judentum und Islam zum Mensch-Tier-Natur-Verhältnis sichtbar zu machen. Die interreligiösen Erkenntnisse werden ergänzt durch Forschungsergebnisse der Verhaltens- und Evolutionsbiologie, die uns längst zeigen, dass die Grenzen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Tieren fließend sind. Die gesamte Forschung deutet darauf hin, dass unser anthropozentrisches Weltbild vom Menschen als wichtigstes Geschöpf, einem Perspektivwechsel Raum geben muss. Es gilt, Tiere als unsere Mitgeschöpfe zu respektieren und ihren Eigenwert zu erkennen!“

Während sich die Universitätstheologie und die Kirchenleitungen noch zurückhalten, ergreifen Einzelne die Initiative. Da wird beispielsweise ein privater Friedhof angelegt, auf dem Hunde und Katzen beigesetzt werden können, was auf den kommunalen Friedhöfen nicht möglich ist.

„Weltweit haben sich Tierfriedhöfe etabliert. Einige Großstädte verfügen über mindestens eine derartige Einrichtung. Die ersten modernen Tierfriedhöfe in Deutschland entstanden etwa Mitte des 19. Jahrhunderts. Bestattet werden größtenteils die klassischen Haustiere wie Hunde oder Katzen, aber auch Zirkustiere oder Pferde. Der weltweit bekannteste Tierfriedhof ist der Hundefriedhof Cimetière des Chiens in Asnières-sur-Seine nördlich von Paris, auf dem nicht nur Hunde, sondern auch Katzen, Kaninchen, Wellensittiche, Pferde und ein Löwe begraben sind.“ Tierfriedhof – Wikipedia

Konsequenterweise werden im Todesfall auch Beerdigungen gehalten, die in der üblichen Traueragende nicht vorgesehen sind. Da werden sich Geistliche dann um eine Antwort bemühen müssen auf die Frage, die sonst nur Kinder stellen: „Kommen Hunde und Katzen auch in den Himmel?“

Einfacher sind da schon „Gottesdienste für Menschen mit ihren Tieren“.

5 Gründe, warum ein Tiergottesdienst die Kirchengemeinde belebt | evangelisch.de

Pfarrerin Hanna Hartmann sagte in ihrer Predigt zum biblischen Schöpfungsgedicht:

„Nein, das ist keine naturwissenschaftliche Abhandlung. Es ist ein Staunen über diese Erde und das Leben auf dieser Erde.

Und es ist ein Einstimmen in die Freude und in das Lob des Schöpfers: Schau, wie schön und wie gut das ist! Ja, sehr gut!

Schau, alles gehört zusammen – wir gehören zusammen!

Und dieses Zusammengehören das erleben ja auch viele von Ihnen/Euch mit dem eigenen Tier. Es ist ein Teil der Familie.

Und schon manchmal habe ich gehört: „Mein Hund spürt besser, wie es mir geht, als manche meiner Familienangehörigen oder Freunde.“

Vielleicht geht es Ihnen auch so mit dem Hund oder dem Tier, das Sie heute mitgebracht haben.

Und doch ist dieses EINE Tier ja nur ein ganz kleines Teilchen im großen Ganzen der Schöpfung. Ein besonders wichtiges und geliebtes; und eines, das einem manchmal auch besonders großen Kummer macht – z.B. wenn es krank wird oder verunfallt; oder etwas Unerwünschtes, gar Gefährliches tut.

Doch es ist wichtig, über dem EINEN die anderen nicht aus dem Blick zu verlieren.

Besonders die, von denen wir leben: die Kühe, deren Milch wir trinken oder Käsekuchen daraus backen; die Würmer, die unsere Erde erst fruchtbar machen; Hühner, deren Eier wir essen; und Insekten – von der Biene bis zur Schmeißfliege.

Egal wie viele Beine, Flügel oder Flossen – sie alle leben und wollen leben. Sie brauchen ihren Raum, und sie haben ein Recht auf Würde. Auf Lebenswürde.

Nicht dass man sie überall dulden müsste – darum geht es nicht. (Wer will schon Flöhe im Bett oder Läuse auf dem Kopf?!)

Aber sie als Mitgeschöpfe zu sehen, das können und sollen wir!

Dafür will uns die biblische Erzählung von der Erschaffung der Welt sensibel machen, wenn sie uns mit allem verbindet, was diese Erde ausmacht: mit den Sternen wie mit den Mikroben.

Und vor allem mit dem, der uns, als Menschen, mitten hineinstellt in diese Schöpfung, damit wir respektvoll, gut und fürsorglich umgehen mit allem, was lebt.“  

1973 Putsch in Chile

Als heute vor 50 Jahren das Militär in Chile gegen die Regierung des sozialistischen Präsidenten Salvador Allende putschte, arbeitete ich im Tübinger „Institut für praktische Theologie“. Ich bearbeitete württembergische Projekte zur Kirchenreform. Frustriert von der Tatsache, dass selbst diese „Reförmchen“ weit von dem entfernt waren, was mir als eine deutsche Variante der Theologie der Befreiung vorschwebte, beschäftigte ich mich mit der Lage der Kirche in Lateinamerika. Voller Sympathie hatte ich das „chilenische Experiment“ verfolgt. Allende wurde am 4.9.1970 an der Spitze der „Unidad Popular“ (Volkseinheit) in das höchste Staatsamt gewählt. Wie wir heute wissen versuchte der US-amerikanische Geheimdienst CIA schon damals, das Militär zum Putsch zu bewegen, um die Regierungsübernahme der Sozialisten zu verhindern. Zunächst erfolglos! Allende begann sofort mit einer Politik der Armutsbekämpfung. Die Kinder Chiles erhielten beispielsweise in den Schulen kostenlos einen halben Liter Milch. Im Juli 1971 beschloss der Kongress eine Änderung der Verfassung, durch den es dem Präsidenten erlaubt wurde, die im Besitz ausländischer Konzerne befindlichen Bodenschätze zu nationalisieren. Tatsächlich wurde die bedeutende Kupferindustrie verstaatlicht. Nun nahmen Unruhen und Attentate zu. Ein Panzerregiment meuterte. Fuhrunternehmer und Einzelhändler streikten.

»Unsere Hauptsorge in Chile liegt in der Aussicht, dass Allende seine Macht konsolidieren kann und das international als politischer Erfolg wahrgenommen wird«, erklärte Präsident Richard Nixon damals und wies seine Geheimdienste und Diplomaten an, ein Programm zur Destabilisierung der chilenischen Regierung umzusetzen. Man müsse »kühl und korrekt« vorgehen, »aber alles tun, um eine echte Botschaft an Allende und andere auszusenden«. Der Nationale Sicherheitsberater Henry Kissinger, bei dem die Fäden dafür zusammenliefen, rühmte sich später, durch diese Maßnahmen »die bestmöglichen Bedingungen« für den Putsch geschaffen zu haben.

In Deutschland bildeten sich alsbald Chile-Unterstützergruppen. Auf dem Tübinger Holzmarkt fanden ständig Demonstrationen statt. Da unser Institut damals in einem nahen Gebäude lag, brauchte ich nur die Treppen runterzugehen, um teilnehmen zu können. Tatsächlich herrschte die Illusion vor, dass die internationale Solidarität die Putschisten vertreiben könnte. Bald jedoch hatten wir es mit chilenischen Flüchtlingen zu tun. Hier engagierte sich besonders die lutherische Kirche in Chile unter dem Bischof Helmut Frenz. Ich unterstützte die „Christen für den Sozialismus“.

In der Bundesrepublik Deutschland fehlte es nicht an Unterstützern des Staatsstreichs. Der CDU-Politiker und frühere Bundesminister Bruno Heck machte noch im Oktober 1973 der Junta seine Aufwartung und ließ sich das Nationalstadion zeigen, in dem zu diesem Zeitpunkt noch immer rund 5.000 Menschen inhaftiert waren und gefoltert wurden. Nach Westdeutschland zurückgekehrt, verkündete er dann bei einer Pressekonferenz, das Leben im Stadion sei bei sonnigem Frühlingswetter »recht angenehm«.

Der Chef der bayerischen CSU, Franz Josef Strauß, schrieb 1973 im Parteiorgan »Bayernkurier«, dass »das Wort Ordnung für die Chilenen plötzlich wieder einen süßen Klang« erhalte..

Auch die vom Sozialdemokraten Willy Brandt geführte Bundesregierung unterstützte zumindest indirekt die Putschisten. Der Auslandsgeheimdienst BND wusste im Vorfeld von den Staatsstreichplänen. Bis heute verweigern sämtliche deutsche Bundesregierungen jedoch Aufklärung darüber, was damals im Vorfeld des Putsches bekannt war und wie der Bundesnachrichtendienst (BND) in Zusammenarbeit mit der CIA darin verwickelt war.

Kürzlich brachte die ARD einen aufschlussreichen Film in der Magazinsendung FAKT.

FAKT: Deutsche Geheimdienstler und Diplomaten in Chile ’73 | ARD Mediathek

Erinnern

Woran man sich erinnert

1963, da war ich keine 16 Jahre alt, lernte ich in der 10.Klasse des altehrwürdigen Athenaeum Stade. Das Gymnasium schaute stolz auf seine Gründung 1588 zurück. In jenem Jahr ging bekanntlich die spanische Armada unter. https://de.wikipedia.org/wiki/Athenaeum_Stade

An einem schönen Unterrichtstag wurde ich aus dem Unterricht herausgerufen und ins Rektorat gerufen. Keine Ahnung weswegen. Aber als Schüler hat man ja immer ein schlechtes Gewissen.

Mich empfing der damalige Oberstudiendirektor B. mit seinem Stellvertreter G. Munter schritt ich auf den Tisch zu, hinter dem die beiden mit finsterer Miene saßen. Ich solle gefälligst einige Schritte zurücktreten. Dann das scharfe Verhör: „Wie kommen Sie dazu, in der Klassenzeitung zu schreiben, die Lehrer könnten die Nationalhymne nicht?“ Bis heute weiß ich nicht, wie sie an das schlecht kopierte Blättchen gekommen sind.

Ach, das war’s. Tatsächlich hatte ich bei der Schulfeier zum 17. Juni (damals Nationalfeiertag) beobachtet, dass die meisten Lehrer beim Absingen der Nationalhymne ihren Mund geschlossen hielten und kühn daraus geschlossen, sie könnten den Text nicht.

Die Herren fanden das nun gar nicht lustig. Einer meinte noch, sie hätten den Text doch vor dem Krieg dauernd singen müssen.

Kurz und gut: Ich wurde nach allen Regeln der schwarzen Pädagogik „zusammengefaltet“. Da ein Jahr zuvor mein Vater gestorben war, fürchtete ich vor allem, dass man meine Mutter damit behelligen würde. Womöglich noch ein Schulverweis? Also gelobte ich Besserung, versprach die restlichen Exemplare der Klassenzeitung zu vernichten und zog wie ein begossener Pudel zurück ins Klassenzimmer. Seltsam war die Demokratieerziehung in jener Zeit.

Den Tag habe ich nach sechzig Jahren nicht vergessen. Darum glaube ich Hubert Aiwanger kein Wort.