„Für ihn ist Gott nicht queer“

Wer diese Überschrift setzt, kann sich einiger Leserbriefe sicher sein. Dabei hatte der langjährige Vorsitzender der CDU-Bundestagsfraktion Volker Kauder in einer methodistischen Kirchengemeinde eigentlich vor allem über Christenverfolgung gesprochen. Auf diesem Gebiet hat sich der Politiker einige Verdienste erworben. Man muss auch zugeben, dass sich Freikirchen hier stärker als die Landeskirchen engagieren. Allerdings ziehe ich persönlich es vor, mich nicht isoliert nur für bedrängte Glaubensgenossen einzusetzen, sondern für Religionsfreiheit und Menschenrechte allgemein. Darunter fallen beispielsweise auch die ungeheuren Bedrohungen homosexuell orientierter Menschen nicht nur in Afrika und im Orient. In vielen Ländern werden sie wie in Russland einfach getötet oder eingekerkert.

Statt also diese Diskriminierungen anzuprangern, die gerade in Freikirchen oft geteilt werden, kritisierte Kauder die Abschlusspredigt des Kirchentags und verstieg sich zu der Aussage: „Die „Homoehe“, durch die es möglich wurde, dass in seiner Kirche ein Pfarrerehepaar gesegnet wurde, ist ihm ein Gräuel.“

Nun darf man natürlich solche Segnungen ablehnen, die immerhin eine Landessynode beschlossen hat. Aber mit diesem Schlagwort „Gräuel“, das bewusst oder unbewusst an ganz andere Verurteilungen des Alten Testaments erinnert, sollte ein verantwortlicher Politiker nicht die liebevollen Beziehungen von heutigen Menschen schmähen.

Solche Schmähungen, die sich im Internet bis zum blanken Hass steigern, kann wohl nur aussprechen, der abstrakt oder dogmatisch mit Homosexualität beschäftigt. Ich kenne mittlerweile viele Menschen, die ihre Vorurteile überwunden haben, weil sich ein Sohn oder eine Tochter entsprechend geoutet hast. Will man deren Zusammenleben mit einem gleichgeschlechtlichen Partner wirklich noch als Gräuel betrachten?

Ich kann mich gut erinnern, wie ich 1975 im Vikariat einige Jahre zusammen mit einem schwulen Kollegen in einem Team arbeitete. Seine Leidensgeschichte war erschütternd. Noch war ein „outing“ für ihn nicht möglich. Auch ich musste meine Moralvorstellungen vom Kopf auf die Füße stellen. Ich habe es nicht bereut.

Manchmal kann auch ein Buch helfen. So habe ich viel gelernt durch den Erfahrungsbericht einer Kollegin, die seit mehr als 25 Jahren in einer Frauenbeziehung lebt. Zunächst versteckt und leidend, nun aber offen und verheiratet.

Sibylle Biermann-Rau, Pfarrerin mit Frau – Eine (un)mögliche Geschichte, Wichern Verlag 2023.

Es ist erschütternd, wie lange sich auch die Evangelische Landeskirche Württemberg beteiligt hat an Distanz, Abwertung und Aggression.

Ein Kommentar zu „„Für ihn ist Gott nicht queer“

  1. Vielen Dank für deine klaren Worte und die Impulse zum Nachdenken. Es gab auch einige Leserbriefe im Tagblatt zu Kauder.
    Heiße Sommergrüße
    Inge

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